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Holismus und Lebensführung – Resilienz als ganzheitliches Konzept

Der Begriff Resilienz ist derzeit als Schlagwort und Lifestyle-Phänomen in der Regenbogenpresse virulent. Doch hinter diesem Konzept stehen mehr als diverse Ratschläge zur Selbstoptimierung im persönlichen Umfeld und beruflichen Kontext. Von einem individualisierten Ansatz in der Entwicklungspsychologie hat sich das Konzept der Resilienz in den letzten Jahrzehnten zu einem ganzheitlichen Konzept einer gesunden Lebensführung entwickelt, die es Menschen ermöglicht trotz widriger Umstände und einschneidender Erfahrungen ein gelingendes Leben zu führen.
 
Entwicklung des Konzepts 'Resilienz'
 
Das Konzept der Resilienz wird seit den 1970er Jahren ausgehend von der amerikanischen Entwicklungspsychologie erforscht. Zu Beginn stand die kindliche Entwicklung im Zentrum dieses Forschungsansatzes. Die Forscherinnen Emmy Werner und Ruth Smith dokumentierten in Feldstudien den Lebensverlauf von Kindern auf der Insel Kauai, die in Armut aufwuchsen. Ein Drittel der eingeschlossen Studienpopulation vermochte es, trotz der widrigen Bedingungen ein gesundes und erfolgreiches Leben zu führen. Die Ergebnisse dieser Langzeitbeobachtungen, die sich von der Kindheit bis in die Adoleszenz erstreckten, können als Grundlage der modernen Resilienzforschung angesehen werden. (1)
 
Als Faktoren für die Widerstandskraft wurden zunächst bestimmte individuelle Faktoren und Charaktereigenschaften in den Blick genommen, wie beispielsweise Selbstwertgefühl, Optimismus und intellektuelle Fähigkeiten. Persönliche Bindungen zu Bezugspersonen im Kindesalter sowie ein stabiles Umfeld im Lebensverlauf sind als Beispiele für protektive Faktoren auf der sozialen Ebene aufzuführen. In den 1990er Jahren wurde von Masten eine Unterteilung resilienter Individuen in drei Gruppen unternommen: Erstens sind Personen zu nennen, die trotz der Zugehörigkeit zu Risikogruppen, wie beispielsweise Betroffenheit von Armut, einen besseren Lebensverlauf haben, als prognostiziert wurde. 
Die zweite Gruppe besteht aus Personen, die trotz anhaltender Stressfaktoren, beispielsweise herausfordernde berufliche Tätigkeiten, gesund bleiben. Drittens sind Individuen zu nennen, die sich ungewöhnlich gut von traumatischen Ereignissen erholen. (2)

Während Resilienzforschung zu Anfang hauptsächlich im Bereich der Entwicklungspsychologie angesiedelt war, wird dieser ressourcenbasierte Ansatz sowohl in der gegenwärtigen Medizinforschung zur Verbesserung der Lebensqualität bei chronischen Krankheiten als auch im Rahmen von bildungspolitischen Maßnahmen sowie im beruflichen Kontext relevant.
 
Bis zum heutigen Tage existiert jedoch keine einheitliche Definition des Begriffs, was die Evaluation von Strategien zur Förderung der Resilienz in klinischen Studien erschwert und den Wirksamkeitsnachweis von Interventionen auf der Grundlage des evidenzbasierten Paradigmas problematisch macht. Der kleinste gemeinsame Nenner in der Resilienzforschung besteht darin, dass resiliente Individuen trotz großer Stressfaktoren und widriger Lebensumstände ein gesundes und erfolgreiches Leben führen. (3)
 
Ein Ansatz in der Interpretation dieses Konzeptes besteht in der Annahme, dass Resilienz als individuelle Eigenschaft bzw. eine Gruppe von Eigenschaften zu verstehen sei, die es Menschen ermöglicht angesichts von Widrigkeiten bzw. traumatischen Erlebnissen ein gelingendes Leben zu führen ohne Psychopathologien auszubilden. Forschungsansätze aus der Psychologie, die diese Interpretation von Resilienz verwenden, konzentrieren sich auf die Entwicklung von Persönlichkeitseigenschaften, wie Optimismus, Selbstwertgefühl und Bewältigungsstrategien.

Holismus statt Individualismus

Das Verständnis von Resilienz als individuelle Eigenschaft erscheint jedoch angesichts verschiedener Forschungsergebnisse unterkomplex zu sein, da Widerstandskraft mehr beinhaltet als ein Cluster von persönlichen Eigenschaften. Resilienz wird zweitens als komplexer Interaktionsprozess verstanden, in dem individuelle, soziokulturelle, physiologische und spirituelle Faktoren eine Rolle spielen. Dieses prozessuale Verständnis wird insbesondere in der systemischen Psychotherapie und bei dem Einsatz von integrativen Methoden relevant. (4)
 
Die Resilienzforschung insgesamt wird als ein Paradigmenwechsel von der Identifikation von Psychopathologien hin zu dem Fokus auf Interventionen zur Förderung von Stärken interpretiert. Somit findet eine Abkehr von dem Defizitmodell statt und Erhaltung sowie Förderung von Gesundheit stehen im Fokus verschiedener Interventionen. Resilienz als stärkenbasierter und stärkenfördernder Ansatz beinhaltet, dass protektive Faktoren erlernbar sind und mittels verschiedener Interventionen lebenslang ausgebaut werden können. (5)
 
So vielseitig wie die Definitionsansätze des Konzepts sind auch die Interventionsmöglichkeiten, die in klinischen Studien erprobt werden. Unter der Annahme, dass Resilienz ein stärkenbasierter Ansatz ist, wird in verschiedenen Kontexten mittels kognitiver Verhaltenstherapie und Interventionen aus dem Bereich der Mind-Body-Medizin, wie Achtsamkeitsübungen, Yoga und Tai-Chi, die Möglichkeit zur Aktivierung und Weiterentwicklung von protektiven Faktoren für die persönliche Widerstandkraft erforscht.
 
Resilienz im Kindesalter
 
Für die persönliche Widerstandskraft von Kindern werden verschiedene Faktoren relevant: Erstens sind hier Charaktereigenschaften und individuelle kognitive Fähigkeiten zu nennen, die gefördert werden können. Zweitens sind soziale Faktoren, wie das familiäre Umfeld, Bezugspersonen im schulischen Kontext sowie die Gruppenbindung mit anderen Kindern, bedeutsam.
 
Der entwicklungspsychologische Blick auf Resilienzfaktoren in der Kindheit, der am Beginn dieses Forschungsbereichs liegt, hat durch diverse Studien im Bereich der schulischen Entwicklung zudem eine Ausweitung einerseits im Rahmen der Resilienzfaktoren für die physische Gesundheit erfahren, und andererseits die Wichtigkeit von protektiven Faktoren herausgearbeitet, statt den Fokus auf die verschiedenen Faktoren der Vulnerabilität zu legen, da im Rahmen jahrzehntelanger Forschungstätigkeit herausgestellt werden konnte, dass Kinder sich trotz widriger Umstände zu gesunden und erfolgreichen Erwachsenen entwickeln. (6) Die Stärkung von Schutzfunktionen hat somit in den gegenwärtigen Programmen zur Resilienzförderung im schulischen Kontext Vorrang.
 
In einem systematischen Review haben Fenwick-Smith et. al herausgestellt, dass trotz der diversen konzeptionellen Schwierigkeiten des Begriffes 'Resilienz' alle Interventionen einen positiven Effekt auf die Stärkung protektiver Faktoren hatten. Verbesserungen ließen sich in den Bereichen der emotionalen und sozialen Kompetenzen aufzeigen, wie z.B. Erweiterung von Bewältigungsstrategien,

Selbstwirksamkeit und der Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen. Zudem sind die Ausbildung von intellektuellen Fähigkeiten und Lernstrategien als weiterer Schwerpunkt in der kindlichen Förderung der Widerstandsfähigkeit zu implementieren. Die Validität der Forschungsergebnisse zur Ausbildung und Stärkung protektiver Faktoren im schulischen Umfeld sind jedoch mit Schwierigkeiten verbunden, da oftmals nicht die Kinder selbst in dem Auswertungsprozess befragt werden, sondern die Lehrpersonen den Erfolg der jeweiligen Intervention anhand von Verhaltensänderungen der Kinder beurteilen. (7)

Holismus und Interventionen im beruflichen Kontext
 
Medizinisches Personal ist besonderen sowie dauerhaften Stressfaktoren und widrigen, teils traumatischen Erlebnissen im Berufsalltag ausgesetzt. Beispielsweise ist die Rate an Depressionen im Bereich der Pflege doppelt so hoch wie in der allgemeinen Bevölkerung. (8) Daher wurden in diesem Bereich zahlreiche Studien durchgeführt, um die Wirksamkeit von Interventionen zur Steigerung verschiedener Resilienzfaktoren zu erproben. In einem systematischen Review von Cleary et al. wurden signifikant positive Effekte für verschiedene Interventionen im Bereich der Stärkung von protektiven Faktoren herausgestellt. (9)

Auf einer allgemeinen Ebene ist festzuhalten, dass die Dauer der gesamten Programme zur Förderung protektiver Faktoren sowie die Länge der einzelnen Sitzungen innerhalb einer Intervention Einfluss auf die Steigerung der Resilienz hatten, wobei längere Programme eine deutlich positivere Wirkung hatten. Die Autoren des Reviews schlussfolgern daraus, dass kurze Interventionen im Bereich der medizinischen Profession ineffektiv sind. Abschließend bleibt darauf zu verweisen, dass der Großteil der Studien zur Förderung von Resilienz im beruflichen Kontext der Klinik bislang Pilotstudien sind, weshalb die positiven Ergebnisse zur Wirksamkeit der Stärkung von protektiven Faktoren als vorläufig betrachtet werden müssen. (10)

Als Beispiel für eine holistische Intervention zur Resilienzförderung im beruflichen Kontext wird hier eine Pilotstudie aus dem Jahre 2015 an depressivem Klinikpersonal ausgewählt. In dieser Studie kam ein multimodaler Ansatz bestehend aus Achtsamkeitsmeditation, Methoden zur Steigerung des Selbstwertgefühls, einer Ernährungsumstellung sowie körperlicher Betätigung zur Resilienzförderung zum Einsatz. Es konnte gezeigt werden, dass nach dieser ganzheitlichen achtwöchigen Intervention, eine statistisch signifikante Reduktion von Depression (63%-70%), Angstzuständen (23%), Stress (48%) und Präsentismus (52%) zu erzielen war, wodurch nicht nur die Arbeitsleistung des medizinischen Personals verbessert wurde, sondern auch die Lebensqualität angestiegen ist. (11)
 
Stärkung der Widerstandskraft als therapeutische Intervention
 
Zur Steigerung der Lebensqualität von Patienten mit chronischen Krankheiten werden ganzheitliche Interventionen zur Stärkung der Widerstandskraft der Patienten eingesetzt. Die Wirksamkeit verschiedener Resilienzprogramme zur Stärkung von protektiven Faktoren bei Patienten mit Krebs, kardiovaskulären Krankheiten und Diabetes sind in einem systematischen Review von 2019 untersucht worden. Kim et al. betonen ebenso wie andere Reviewer, dass durch die komplexe Natur und mangelnde einheitliche Definition des Konzepts Resilienz die Auswertung von Studien problematisch ist, da den einzelnen Studien verschiedene Konzepte der Widerstandskraft zugrunde liegen. Das Spektrum der Interventionen bei Patienten mit chronischen Krankheiten erstreckt sich von der Aktivierung diverser kognitiver Fähigkeiten und Problemlösungsstrategien sowie die Steigerung des Selbstbewusstseins über die Effekte sozialer Verankerung bis hin zu spirituellen Einstellungen der Patienten.
 
Auch im Bereich der Stärkung der Widerstandskraft von Patienten mit chronischen Krankheiten erweisen sich längere Programme insgesamt als wirksamer gegenüber kurzen Interventionen. Kim et al. geben die Empfehlung, dass mindestens 10 (Gruppen-)Sitzungen Bestandteil von Programmen zur Förderung der Widerstandskraft sind. Die verschiedenen Interventionen konnten zu einer Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten beitragen und führten bei den Patienten zu einer neuen Akzeptanz der gegenwärtigen Lebenssituation, wodurch sowohl das individuelle psychische Befinden gesteigert werden konnte als auch die Qualität und Frequenz sozialer Interaktionen verändert wurde. Positive Effekte konnten zudem im Bereich physischer Parameter wie Erschöpfung, Schmerz und Schlafqualität erzielt werden. (12)
 
 
Fazit
 
Die Vielschichtigkeit in der Interpretation des Konzepts 'Resilienz' bringt Schwierigkeiten in der Systematisierung mit sich und führt dazu, dass eine einheitliche Messskala für die evidenzbasierte Auswertung von klinischen Studien fehlt. Dennoch lässt sich aus den Ergebnissen der verschiedenen systematischen Reviews zur Stärkung der persönlichen Widerstandskraft allgemein schlussfolgern, dass die verschiedenen Interventionen zur Steigerung protektiver Faktoren im Hinblick auf Verbesserungen in der Lebensführung sowie Lebensqualität wirksam waren.
Wird unter dem Begriff Resilienz also ein komplexer Interaktionsprozess verstanden, der Persönlichkeitsmerkmale, das soziale Umfeld und die Lebenswelt der Menschen miteinschließt, wird auch deutlich, dass Resilienzfaktoren nicht allein auf der psychologischen Ebene gesucht werden können, sondern im Bereich der ganzheitlichen Ansätze, dass also auch die Formen physischer Resilienz und der Einfluss von Ernährung und körperlicher Aktivität auf die Widerstandskraft von Individuen in den Blick genommen werden müssen. Pilotstudien zu einem holistischen Verständnis dieses Konzeptes werden bereits in verschiedenen Altersgruppen durchgeführt.

How to stay resilient
 
Literatur

(1) Johnson, J. L., & Wiechelt, S. A. (2004). Introduction to the special issue on resilience. Substance use & misuse, 39(5), 657-670.
(2) Johnson, J. L., & Wiechelt, S. A. (2004). Introduction to the special issue on resilience. Substance use & misuse, 39(5), 657-670.
(3) Joyce, S., Shand, F., Tighe, J., Laurent, S. J., Bryant, R. A., & Harvey, S. B. (2018). Road to resilience: a systematic review and meta-analysis of resilience training programmes and interventions. BMJ open, 8(6).
(4) Windle, G. (2011). What is resilience? A review and concept analysis. Reviews in clinical gerontology, 21(2), 152-169.
(5) Lavoie, J., Pereira, L. C., & Talwar, V. (2016). Children's physical resilience outcomes: Meta-analysis of vulnerability and protective factors. Journal of Pediatric Nursing, 31(6), 701-711.
(6) Lavoie, J., Pereira, L. C., & Talwar, V. (2016). Children's physical resilience outcomes: Meta-analysis of vulnerability and protective factors. Journal of Pediatric Nursing, 31(6), 701-711.
(7) Fenwick-Smith, A., Dahlberg, E. E., & Thompson, S. C. (2018). Systematic review of resilience-enhancing, universal, primary school-based mental health promotion programs. BMC psychology, 6(1), 30.
(8) Cleary, M., Kornhaber, R., Thapa, D. K., West, S., & Visentin, D. (2018). The effectiveness of interventions to improve resilience among health professionals: A systematic review. Nurse education today, 71, 247-263.
(9) Cleary, M., Kornhaber, R., Thapa, D. K., West, S., & Visentin, D. (2018). The effectiveness of interventions to improve resilience among health professionals: A systematic review. Nurse education today, 71, 247-263.
(10) Cleary, M., Kornhaber, R., Thapa, D. K., West, S., & Visentin, D. (2018). The effectiveness of interventions to improve resilience among health professionals: A systematic review. Nurse education today, 71, 247-263.
(11) Johnson, J. R., Emmons, H. C., Rivard, R. L., Griffin, K. H., & Dusek, J. A. (2015). Resilience training: a pilot study of a mindfulness-based program with depressed healthcare professionals. Explore, 11(6), 433-444.
(12) Kim, G. M., Lim, J. Y., Kim, E. J., & Park, S. M. (2019). Resilience of patients with chronic diseases: A systematic review. Health & social care in the community, 27(4), 797-807.
 
Quelle: Karl und Veronica Carstens-Stiftung, Essen, Beitrag von Ursula Heim (M.A.), 01.07.2020