Nerven-Muskel-Krankheiten III
GRIMASSIERKRÄMPFE: Grimassierkrämpfe (oromandibuläre Dystonien) sind Muskelkrämpfe des Mundes, Halses oder der Zunge. Die Gesichtsmuskeln der unteren Gesichtshälfte, der Zungen- und Kaumuskulatur können beteiligt sein. Typische Beschwerden sind ständige Unruhe der Muskeln um den Mund herum, Grimassieren, Fältelung der Nase, Schnauzbewegungen, Kiefersperre oder Kieferaufreißen. Zungenkrämpfe führen zu erheblichen Behinderungen beim Essen und Sprechen. Der mit der Erkrankung verbundene übermäßige Zahnverschleiß, eine Kiefersperre oder Geschwüre im Mund führen die Betroffenen oft zum Zahnarzt. In früheren Zeiten versuchten Nervenärzte vor allem mit verschiedensten Psychopharmaka die Muskelkrämpfe zu dämpfen. Der Erfolg war meist gering, die Nebenwirkungen beträchtlich. Auch chirurgische Eingriffe an Rückenmark, Nerven oder Gehirn zählten und zählen zu den Behandlungsmöglichkeiten, wenn Beschwerden sehr quälend sind. Seit mehr als zehn Jahren wird die BTX-Behandlung dieser Beschwerden wissenschaftlich untersucht. Das Ergebnis: Die Behandlung mit Botulinumtoxin hat sich zum „Goldstandard“ entwickelt. Sie ist bei diesen schweren Krankheiten oft die effizienteste oder einzige Therapieform und definitiv ein unverzichtbarer Segen.
Medikamente haben oft starke Nebenwirkungen.
Folge der Krämpfe können starke Zahnschäden sein.
DYSPHONIE: Unsere Stimme entsteht beim minutiös koordinierten Schwingen unserer Stimmbänder. Beim Sprechen werden diese Bänder in unserem Kehlkopf von kleinen Halsmuskeln gesteuert. Manchmal arbeiten die Stimmbänder unkoordiniert, wir verlieren unsere Stimme oder sprechen quäkend, rauh und kratzend. Es handelt sich dabei um eine besondere Form der Dystonie: einen unwillkürlichen Krampf derjenigen Muskeln, die Öffnungsgrad und Schwingungen der Stimmritze steuern. Früher wurde den Betroffenen mit Sprechtraining, psychologischen Sitzungen oder der operativen Durchtrennung eines Kehlkopfnervs geholfen. Heute wird BTX A direkt in die Stimmritze gespritzt, und fast alle Patienten erleben eine wesentliche Besserung ihrer Beschwerden.
Bei Stimmbandproblemen kann die Stimme ganz ausfallen.
LIDKRAMPF: Die Behandlung des Lidkrampfes (Blepharospasmus) ist eine der häufigsten medizinischen Anwendungen von Botulinumtoxin. Ein Blepharospasmus ist ein unwillkürlicher, immer wieder auftretender Lidkrampf bei ansonsten gesunden Menschen. Er ist gekennzeichnet durch unwillkürliche Verkrampfungen der Ringmuskeln um die Augen. Es kann dadurch nicht nur zu kosmetischen Beeinträchtigungen, sondern auch zu Sehbehinderungen bis zur faktischen Blindheit kommen. In Frühstadien sind die Lidkrämpfe auf beiden Augen meist unterschiedlich ausgeprägt, oft ist nur eine erhöhte Blinzelfrequenz zu bemerken. In vielen Fällen verschlimmern sich die Beschwerden durch helles Licht, Luftzug, Lesen, Autofahren oder Stress. Vor der Einführung des Toxins standen den Augen- und Nervenärzten mit Hypnose, Biofeedback, Akupunktur, Physiotherapie oder gar Operationen nur relativ uneffektive und teils sehr belastende Therapiemaßnahmen zur Verfügung. Die medikamentöse Behandlung führt nur bei einem Teil der Patienten zu einem vorübergehenden Erfolg. Botulinumtoxin änderte die Situation der Patienten Anfang der achtziger Jahre dramatisch zum Besseren. Nach Einspritzung von Botulinumtoxin bessern sich die Beschwerden in 90 Prozent der Fälle – ein unglaublich guter Erfolg, verglichen mit den älteren Behandlungsformen. Deshalb wurde Botox schon 1991 in den USA für diese Behandlung zugelassen. Die Entwicklung von BTX als Medikament war ein Meilenstein bei der Behandlung des Blepharospasmus. BTX ist heute unbestritten die bestmögliche Therapie.
Beim Lidkrampf verkrampfen sich die Muskeln um das Auge.
SCHREIBKRAMPF: Manche Dystonien treten nur auf, wenn der Kranke eine bestimmte Aufgabe erfüllen soll. Dazu zählt auch der relativ häufige Schreibkrampf. Beim Schreibversuch verkrampfen unwillkürlich viele Muskelgruppen am Unterarm. Je nach betroffenem Muskel können einzelne Finger oder die ganze Hand groteske Fehlstellungen annehmen. Injektionen von Botulinumtoxin haben sich als sichere und derzeit wirksamste Therapieform des Schreibkrampfes erwiesen. In etwa der Hälfte der Fälle kommt es zu einer anhaltenden Besserung der Beschwerden. Die Wirkung einer Botulinumtoxin-Injektion beim Schreibkrampf hält im Durchschnitt acht bis 14 Wochen an, im Einzelfall auch länger. Es hat sich bewährt, die Therapie zunächst mit einer niedrigen, möglicherweise noch nicht wirksamen Dosierung zu beginnen. Nach zwei bis vier Wochen wird der Erfolg beurteilt und, falls notwendig, wird nachgespritzt.
HALBSEITIGER GESICHTSKRAMPF: Der halbseitige Gesichtskrampf (Spasmus hemifacialis) ist durch eine willkürlich nicht zu beeinflussende, teils dauerhafte, teils anfallsweise Verkrampfung der mimischen Muskulatur einer Gesichtshälfte gekennzeichnet. Er entsteht, weil der Gesichtsnerv (Nervus facialis) ungewöhnlich erregbar ist, und kann beispielsweise durch Druck auf diesen Nerv ausgelöst werden. Oft lässt sich nachweisen, dass ein bestimmtes Blutgefäß des Gehirns (Arteria cerebelli anterior inferior) auf den Nerv drückt. Selten kann ein Tumor der Schädel- oder Hirnbasis gefunden werden. Nach halbseitigen Gesichtslähmungen (Facialisparese) können ebenfalls Gesichtszuckungen entstehen. Eine Injektion von Botulinumtoxin führt zu einer deutlichen Obwohl andere Behandlungen beim halbseitigen Gesichtskrampf oft gut wirken, ist die zuverlässige und nebenwirkungsarme Behandlung mit BTX heute Therapie der Wahl.